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In-Vitro-Fleisch als Wegweiser für die Fleischindustrie?

18. August 2023 - Lesezeit: 4 Minuten

Laborfleisch hat das Potenzial, den Fleischkonsum der Zukunft zu verändern. Doch wie steht es aktuell um dieses revolutionäre Produkt?

In-Vitro-Fleisch, auch Laborfleisch genannt, war lange Zeit auf derselben Ebene wie fliegende Autos und autonome Roboter – Ein Zukunftsgedanke. Doch langsam aber sicher bahnt sich das Konzept von künstlich gewachsenen Fleisch in die reale Welt. Singapur pflasterte den Weg, als im Jahre 2020 das erste Mal In-Vitro-Fleisch erhältlich war.

Vor einem Monat wurde der Verkauf von Laborfleisch nun auch in den USA genehmigt, was darauf hinweist, dass andere Länder dem bald folgen werden. Unterstützt wird dies von der Schweiz, welches als erstes Land in Europa einen Antrag gestellt hat In-Vitro-Fleisch zu produzieren.

Trotz dieser Entwicklungen stellen sich noch viele Fragen zu dem Thema. Befürworter betrachten Laborfleisch als potenziell gesündere Alternative zur Massentierhaltung, nicht zuletzt wegen der Möglichkeit Tierleid zu verringern. Trotzdem sind die gesundheitlichen Auswirkungen von kultiviertem Fleisch weitgehend spekulativ, da es bisher nur von wenigen Menschen probiert wurde. Eine langfristige Beobachtung der Auswirkungen erfordert Jahre oder sogar Jahrzehnte des Konsums.

Tierleid bleibt bestehen

Man würde meinen, dass künstlich gezüchtetes Fleisch ohne Tierleid auskommt, allerdings ist dieser Punkt noch lange nicht erreicht. Das Grundmaterial sind immer noch tierische Zellen, welche aus lebenden Tieren gewonnen werden müssen. Der Entnahmeprozess ist schmerzhaft für die Tiere. Die geernteten Muskelstammzellen werden anschließend in einer Nährstofflösung kultiviert, damit sich aus den Stammzellen richtige Muskelfasern bilden können.

Bei der Nährstofflösung handelt es sich nicht um eine künstlich hergestellte Substanz, sondern um das sogenannte fötale Kälberserum, welches sich im Mutterleib einer schwangeren Kuh bildet. Für die Gewinnung dieser Substanz müssen Kalb und Mutterkuh getötet werden, was wiederum der tierfreundlichen Produktion von In-Vitro-Fleisch absolut widerspricht. Dies ist einer der Gründe, warum Forscher aktiv nach Alternativen suchen. Darunter ist auch Petra Kluger von der Universität Reutlingen, welche daran arbeitet Nährstofflösungen aus Lebensmittelabfällen herzustellen, um die Produktion von Laborfleisch nachhaltiger zu machen. Weitere potenzielle Quellen beinhalten Pilze und Algen.

Mögliches Superfood

Obwohl Laborfleisch derzeit nicht ohne Tierleid möglich ist, auch wenn es sich um ein minimiertes Maß im Vergleich zur traditionellen Fleischproduktion handelt, könnte es große gesundheitliche Vorteile bieten. Ein Großteil der menschlichen Bevölkerung isst Fleisch im Übermaß, welches durch die hohe Menge an gesättigten Fettsäuren, Cholesterin und Salz zu Gesundheitsproblemen führen kann.

An dieser Stelle zeigt In-Vitro-Fleisch eine Stärke mit unglaublichem Potenzial: Es ist möglich, bestimme Schadstoffe gezielt zu reduzieren oder ganz zu entfernen, während man gesündere Alternativen einspeist. Tilman Kühn von der Medizinischen Universität Wien sieht in Laborfleisch eine Möglichkeit Fleisch nach den Wünschen der Verbraucher anzupassen. Er betont, dass die Zusammensetzung von Laborfleisch möglicherweise optimiert werden kann, um eine gesündere Alternative zur konventionellen Fleischproduktion zu schaffen.

Jedoch sind noch nicht alle Probleme gelöst. Gesundheitliche Risiken von Fleisch entstehen oft bei der Zubereitung, unabhängig davon, ob es aus dem Labor stammt oder nicht. Der Experte weist darauf hin, dass beim Braten oder Konservieren von Fleisch gesundheitsschädliche Substanzen entstehen können, die auch bei Laborfleisch auftreten könnten.

Laborfleisch = Chemie?

Unter In-Vitro-Fleisch stellen sich viele Menschen eine künstlich hergestellte Masse vor, welche nichts mit eigentlichem Fleisch zu tun hat. Dabei ist die Frage berechtigt, ob es sich um ein künstliches oder natürliches Produkt handelt.

Laborfleisch mag auf den ersten Blick unnatürlich erscheinen, aber es basiert auf natürlichen Prozessen. Es verwendet keine künstlichen Aromen, sondern bezieht seinen Geschmack aus den gleichen Quellen wie konventionelles Fleisch. Daher kann man sagen, dass In-Vitro-Fleisch trotz des künstlichen Produktionsprozesses ein natürliches Produkt ist. Schließlich bleibt Gemüse, welches in einem Labor gezüchtet wird, auch einfach nur Gemüse.

Obwohl Laborfleisch einige Vorteile bietet, gibt es auch Bedenken hinsichtlich seines Energieverbrauchs. Die Produktion erfordert derzeit viel Energie für die Aufrechterhaltung der benötigten Bedingungen für die Nährstofflösungen. Dies und andere Herausforderungen könnten dazu führen, dass es noch einige Jahre dauert, bis Laborfleisch in größerem Umfang produziert werden kann.

Insgesamt zeigt Laborfleisch Potenzial als natürliche und nachhaltige Fleischalternative, die den Fleischkonsum in Zukunft revolutionieren könnte. Während es noch viele Herausforderungen zu überwinden gibt, sind die bisherigen Fortschritte vielversprechend und könnten einen positiven Beitrag zum Tierwohl und Umweltschutz leisten.

Bildtitel: Zwei Reagenzgläser
Fotograf: Martin Lopez
Lizenz: Pexels Lizenz

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