Wenn in den nächsten Monaten die Regale vieler Supermärkte umgestaltet werden, geht es um mehr als neue Verpackungen oder ein anderes Etikett.
Aldi Süd, Lidl, Rewe und Penny verabschieden sich Schritt für Schritt von Fleisch der sogenannten Haltungsform 1. Damit endet eine Ära des billigsten Fleisches – zumindest auf dem Papier. Doch dieser Wandel ist nicht nur eine Entscheidung der großen Handelsketten, sondern auch ein Signal an die gesamte Branche: Kundinnen und Kunden wollen wissen, woher ihr Fleisch kommt, und sie sind zunehmend bereit, für bessere Tierhaltung mehr zu bezahlen.
Für viele Metzgereien ist das keine Überraschung. Handwerksbetriebe, die seit Jahren auf Qualität, Transparenz und Regionalität setzen, sehen in dieser Entwicklung eher eine Bestätigung als eine Veränderung. Während der Lebensmitteleinzelhandel erst jetzt auf Tierwohl und Herkunft setzt, gehört das in vielen Metzgereien längst zur täglichen Arbeit.
Das System der Haltungsformen wurde vor einigen Jahren eingeführt, um Verbraucherinnen und Verbrauchern eine schnelle Orientierung zu bieten. Es unterscheidet fünf Stufen, von der gesetzlichen Mindestanforderung bis hin zu Bio-Qualität.
Haltungsform 1 beschreibt die klassische Stallhaltung, die lediglich den gesetzlichen Mindeststandard erfüllt.
Haltungsform 2 steht für Stallhaltung Plus, bei der die Tiere etwas mehr Platz und Beschäftigungsmaterial haben.
Haltungsform 3 bedeutet Außenklima – die Tiere haben Frischluftkontakt und meist mehr Bewegungsfreiheit.
Haltungsform 4 steht für Premiumhaltung, also Auslauf im Freien oder Weidehaltung.
Haltungsform 5 schließlich beschreibt Biofleisch nach strengen ökologischen Vorgaben.
Das System wurde vor allem von großen Handelsketten eingeführt, um eine gewisse Transparenz zu schaffen. Auf den ersten Blick ist es leicht verständlich, doch Fachleute wissen: Die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Stufen sind teils gering, und viele Details hängen von Tierart, Region und Betrieb ab. Trotzdem hat das System eines geschafft: Es lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Frage, wie Tiere leben und gehalten werden, bevor ihr Fleisch im Regal landet.
Mit der Entscheidung, Fleisch der Haltungsform 1 auszulisten, gehen die großen Handelsketten einen wichtigen Schritt. Aldi Süd etwa hat angekündigt, bis 2030 fast ausschließlich Fleisch aus den höheren Haltungsformen 3 und 4 anzubieten. Schon heute stammt rund die Hälfte des Frischfleischs im Sortiment aus diesen Kategorien. Lidl, Rewe und Penny ziehen nach und wollen bis 2026 vollständig auf Fleisch der Haltungsform 1 verzichten.
Die Begründung ist eindeutig: Kundinnen und Kunden verlangen nach mehr Tierwohl und mehr Transparenz. Der Handel reagiert also auf ein verändertes Bewusstsein. Aldi spricht davon, Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt übernehmen zu wollen. Rewe betont, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt habe und nun auch der Handel nachziehen müsse.
Diese Umstellung betrifft vor allem Schweine- und Geflügelfleisch, da dort bislang der größte Anteil aus der Haltungsform 1 stammte. Rindfleisch ist in der Umsetzung komplexer, da die Produktionswege vielfältiger sind. Dennoch ist die Botschaft klar: Die Zeit des anonymen Billigfleischs geht langsam zu Ende.
Tierschutzorganisationen und Verbraucherschützer begrüßen die Entscheidung der Supermärkte grundsätzlich, weisen aber auch auf die Herausforderungen hin. Eine höhere Haltungsform bedeutet nicht automatisch, dass alle Probleme gelöst sind. Zwar erhalten die Tiere mehr Platz, Frischluft und bessere Bedingungen, doch die wirtschaftlichen Realitäten bleiben hart.
Mehr Tierwohl kostet Geld. Höhere Stallstandards, mehr Fläche und besseres Futter bedeuten steigende Kosten für Landwirtinnen und Landwirte. Wenn diese Kosten nicht durch höhere Verkaufspreise ausgeglichen werden, geraten viele Betriebe unter Druck. Ein Kilogramm Schweinefleisch aus Haltungsform 3 oder 4 kostet nun einmal mehr als das Billigprodukt aus der Massenhaltung.
Hier liegt der entscheidende Punkt: Nur wenn Kundinnen und Kunden bereit sind, den Mehrpreis zu zahlen, kann sich das System langfristig verändern. Das Ziel muss sein, dass gutes Fleisch nicht zur Ausnahme wird, sondern zum Standard. Dazu braucht es Aufklärung, Vertrauen und Transparenz – Werte, die das Fleischerhandwerk seit jeher pflegt.
Während große Ketten ihre Sortimente umstellen, haben viele Metzgereien diese Entwicklung längst vollzogen. Für sie ist Tierwohl kein Trend, sondern gelebte Überzeugung. Der enge Kontakt zu Landwirtinnen und Landwirten, die kurzen Transportwege und die eigene Kontrolle über die Herkunft des Fleisches sind feste Bestandteile des handwerklichen Alltags.
Ein gutes Beispiel sind Metzgereien, die mit bestimmten Bauernhöfen kooperieren und ihre Tiere direkt aus der Region beziehen. Oft stammen die Tiere von kleinen Betrieben, die ihre Tiere mit Sorgfalt aufziehen und stressarme Schlachtungen ermöglichen. Dieses Vertrauen zwischen Landwirtschaft und Metzgerei schafft Qualität, die man schmeckt.
Auch ohne offizielles Label erfüllen viele handwerkliche Produkte Standards, die über Haltungsform 4 hinausgehen. Hier geht es nicht nur um Zahlen und Symbole, sondern um echtes Handwerk, um Verantwortung und um Wissen über jedes Stück Fleisch, das verarbeitet wird.
Der Wandel im Handel ist ein Zeichen dafür, dass sich das Bewusstsein der Gesellschaft verändert. Fleisch wird zunehmend als wertvolles Lebensmittel wahrgenommen, nicht mehr als bloße Ware. Kundinnen und Kunden fragen nach Herkunft, Haltung und Verarbeitung. Das eröffnet für das Fleischerhandwerk große Chancen.
Wer ehrlich kommuniziert, woher das Fleisch kommt, wer zeigt, welche Bauern dahinterstehen, und wer erklärt, warum gutes Fleisch seinen Preis hat, wird Vertrauen gewinnen. Gerade in Zeiten, in denen anonyme Massenproduktion kritisch gesehen wird, kann das Handwerk punkten.
Metzgereien können diesen Wandel aktiv mitgestalten. Sie können aufklären, beraten und zeigen, wie verantwortungsvoller Fleischkonsum aussieht. Das heißt nicht, dass Fleisch zum Luxusgut werden soll. Es bedeutet, dass jedes Stück Fleisch bewusst gewählt, mit Respekt verarbeitet und mit Genuss verzehrt wird.
Langfristig könnte dieser Wandel auch die Landwirtschaft stärken. Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher gezielt Fleisch aus artgerechter Haltung nachfragen, entsteht ein Markt für Qualität statt Quantität. Damit das gelingt, müssen alle Beteiligten zusammenarbeiten: Handel, Landwirtschaft und Handwerk.
Das Ende der Haltungsform 1 ist mehr als ein symbolischer Schritt. Es zeigt, dass die Zeit reif ist für eine neue Wertschätzung von Fleisch und Tierhaltung. Was für viele Metzgereien schon lange selbstverständlich ist, wird nun auch im großen Maßstab umgesetzt.
Für das Fleischerhandwerk ist das eine Bestätigung, aber auch eine Chance. Wer Regionalität, Tierwohl und handwerkliche Qualität lebt, kann sich klar positionieren. Der Unterschied zwischen industriellem Mindeststandard und echtem Handwerk wird sichtbarer denn je.
Am Ende geht es nicht nur um Etiketten oder Zahlen. Es geht um Verantwortung, um Respekt gegenüber den Tieren und um die Frage, welche Art von Landwirtschaft und Ernährung wir in Zukunft wollen. Wenn dieser Wandel ernst genommen wird, kann Fleisch wieder das werden, was es ursprünglich war: ein wertvolles Lebensmittel, das mit Achtung und Bewusstsein genossen wird.
Fotograf: Mark Stebnicki
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